EFT-Paartherapie, Bindung, Bowlby & Buddha

Liebesbeziehungen sind die perfekte Umgebung für Koregulation. Wenn wir autonom in die Welt hinausgehen, benutzen wir Selbsregulation. Selbstregulation ist aber ein Energie-aufwendigerer Weg als Koregulation, da Koregulation der natürliche Grundzustand unseres Gehirns ist.

Gehen Liebe und Autonomie zusammen?

Von 2000 bis 2010 praktizierte und unterrichtete ich Zen in der Rinzai-Tradition. Im Jahr 2011 entschieden Christine Weiß und ich, uns zusammen auf die Arbeit mit Paaren und Sue Johnsons bindungsbasierte, emotionsfokussierte Therapie (EFT) zu konzentrieren. Regelmäßig fragen Klient*innen, wie EFT & Zen, Bindung & Nicht-Bindung, Attachment & Non-Attachment, Liebe & Autonomie zusammenhängen. Wie würde ein Gespräch zwischen Gautama Buddha und John Bowlby verlaufen? Ich habe mir ein Jahrzehnt lang oft den Kopf über diese Frage zerbrochen.

Warum brauchen Erwachsene Bindung?

Wir Menschen sind uns bei der Geburt alle ziemlich ähnlich – wir werden mit dem Bedürfnis nach Bindung geboren. Wir brauchen Bindung, um zu leben – als Kind und als Erwachsene. Obwohl unsere Leben sehr unterschiedlich sein können, bleiben unsere Bindungsbeziehungen unser Zuhause – sie geben uns Kraft zum Leben und Trost beim Sterben.

Als EFT-Paartherapeut*innen sind wir jedes Mal, wenn wir einem Paar begegnen, wieder erstaunt über die Einzigartigkeit und tiefe Basis ihrer Liebesbeziehung. Paare sind sich nie gleich in ihrem emotionalen Tanz und dem gemeinsamen Weg zu Wachstum. Wie einzigartig sie auch sein mögen, sie wünschen sich alle ein Zuhause, einen Rückzugsort, an dem sie sich beieinander sicher aufgehoben fühlen, sich fallen lassen können, zusammen wachsen und von wo aus sie sich in die Welt hinaus bewegen können.

„Wenn Bindungsbeziehungen zufriedenstellend funktionieren, macht man die Erfahrung, dass sich Distanz und Autonomie hervorragend mit dem Verlass auf andere und der Nähe zu ihnen vereinbaren lassen.“

Mario Mikulincer und Philip R. Shaver, 2016

Bindungsbeziehungen sind die perfekte Umgebung für Koregulation. Durch des anderen Augen, Stimme und Umarmungen fühlt man sich mit seinen Gefühlen nicht alleine. Das hilft, runterzukommen und das emotionale Gleichgewicht wiederzufinden. Koregulation passiert im limbischen Teil unseres Gehirns, dem Sitz unserer Emotionen. Regulierung findet also dort statt, wo sie im Gehirn entstehen – ein effektives Vorgehen, welches wir mit den Säugetieren teilen.

Unser Gehirn, der Wohnsitz von Bindung und nicht-Bindung

Im Zen-Buddhismus wird manchmal abwertend über „Monkey Mind“ – das individuelle Selbst, in dem das Ego seinen Sitz hat und Gefühle im Vordergrund stehen – geredet. Als sollte es nur voll von Wahnvorstellungen und ruhelosen Alltagsgedanken sein und nach Befriedigung in der Außenwelt suchen. Gehirnforschung hat gezeigt, dass genau in diesem limbisches Teil unseres Gehirns Bindung und Liebe stattfinden.1) Wir brauchen also „Monkey Mind“, um uns zu binden und zu lieben. Und wenn wir uns sicher gebunden wissen und die Fähigkeit und Möglichkeit haben, uns zu koregulieren, gibt es wenig Grund für Wahnvorstellungen und ruhelose Alltagsgedanken oder das Suchen nach Befriedigung in der Außenwelt.

Im Gegensatz dazu wird „Big Mind“ im Zen-Buddhismus verwendet, um das höhere Selbst oder die „Buddha-Natur“ zu beschreiben. Ein Zustand, worin wir Ego und Kontrolle loslassen. „Big Mind“ nimmt individuelle Gedanken und Gefühle wahr, aber sie verändern das Bewusstsein nicht. Ein Zustand, bei dem die Steuerung des Verhaltens zum Großteil über die Neocortex stattfindet und Botschaften aus limbischen oder tieferliegenden Teilen in Ruhe beobachtet werden.1)

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Why we hold hands: Dr. James Coan at TEDxCharlottesville 2013

Was sind die Vorteile von Nicht-Bindung?

Mein Zen-Meister Rients Ritskens hat mir in den Jahren, in denen ich in seiner Zen-Schule meditiert und unterrichtet habe, gezeigt, dass auch Nicht-Bindung uns ein zweites Zuhause bieten kann – die Erleuchtung als Ort von Trost und Freude, das einfache Sein im Hier und Jetzt, ohne durch Gefühle hin-und-her bewogen zu werden – was viele Vorteile mit sich bringt.2) Erfahrungen, die Menschen mit einem unsicher vermeidenden Bindungsstil anwenden, um mit dem nicht emotional eingestimmt Reagieren von Bindungsfiguren und der nicht vorhandene Koregulation klarzukommen.3) Ein Daseinszustand, der im Zen mithilfe von nahtodähnlichen Erfahrungen herbeigeführt wird. Auch aus dem Extremsport und der Medizin ist bekannt, wie solche Perspektivenwechsel unser Leben bereichern können.

Bindung und Liebe sind ein großartiges Haus zum Leben, Nicht-Bindung und Autonomie eine tolle Ferienwohnung für einen bereichernden Perspektivenwechsel.

Zen ist das Mekka der Selbstregulation. Wenn ich meditiere, bin ich alleine – die Stimme des Anderen, seine Augen, seine Berührungen – das alles ist nicht da. Selbstregulation wurde in der psychologischen Forschung viel untersucht. Sie wird generell über den präfrontalen Kortikalis gesteuert, die Region in unserem Gehirn, die direkt hinter unserer Stirn sitzt – da, wo Yogi das dritte Auge erahnen – und, pauschal gesagt, der Sitz unserer Selbstdisziplin.

Menschsein, Bindung und Nicht-Bindung

Der Forscher Dr. James Coan geht davon aus, dass Selbstregulation eine Energie-aufwendigere und schwierigere Methode ist als Koregulation, weil Koregulation der natürliche Grundzustand unseres Gehirns ist. Es ist für uns ungewöhnlich, alleine zu sein und alleine unsere Gefühle zu regulieren. Bindung und Nicht-Bindung gehören beide zu unserem Menschsein: Bindung und Liebe sind ein großartiges Haus zum Leben, Nicht-Bindung und Autonomie eine tolle Ferienwohnung für einen bereichernden Perspektivenwechsel.4)

„Wir alle werden in Hilflosigkeit und vollständiger Abhängigkeit geboren, und wir alle sind sterblich und wissen darum. Die einzige Möglichkeit, mit dieser Verletzlichkeit auf gesunde Weise umzugehen, besteht darin, den Kontakt zu anderen zu suchen und einander Halt zu geben. Nur so können wir gelassen und gestärkt in die Welt hinausgehen.“

Jonathan Shay, Odysseus in America
YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden


Prof. Dr. Paul Greenman stellt auf seine lebendige, fundierte Weise über einige der neuesten Erkenntnisse der Bindungswissenschaft zum Thema Paarbeziehung, Liebe, Bindung und Sexualität vor. Er bringt uns nahe, wie die Qualität von unseren wichtigsten Beziehungen unsere Gesundheit und unser Glücklichsein beeinflusst.

Er ist Professor für klinische Psychologie und Leiter der Abteilung für Psychoedukation und Psychologie der Université du Québec en Outaouais. Seine Forschungsinteressen betreffen emotionale und soziale Entwicklung, Paar-Psychotherapie und klinische Gesundheitspsychologie. Er ist zertifizierter EFT-Trainer des International Centre for Excellence in Emotionally Focused Therapy (ICEEFT), Autor mehrerer Studien und Artikel über EFT und spricht fließend Deutsch.

1) Oprah Winfrey, Bruce D. Perry, „Was ist dein Schmerz? Gespräche über Trauma, seelische Verletzungen und Heilung“ (English original: „What Happened to You? Conversations on Trauma, Resilience, and Healing„)

2) The Superpowers of Dismissive Avoidant Attachment

3) Bei belastenden Erfahrungen in der Kindheit, wie starken Schmerz oder schweren Verlust, kann einen vermeidenden Bindungsstil die Form einer pathologischen Erleuchtung annehmen. (Rients Ritskes im persönlichen Gespräch.)

4) Siehe: Frankenhuis, W. E. (2010). Did insecure attachment styles evolve for the benefit of the group? Frontiers in Psychology, 172.

Hat Ihnen der Beitrag geholfen?

Diese Seite teilen